Über ein halbes Jahrtausend Ravensburger Büchsenschützen
Eine Schützengilde, die auf so viele Jahrhunderte ihres Bestehens zurückblicken kann, darf und soll sich ihrer
Vergangenheit mit Freude und Stolz erinnern. Dieser Verpflichtung wollen die folgenden Ausführungen zum Gedächtnis der längst Dahingegangenen und zur Anfeuerung der Lebenden in bescheidenem Rahmen gerecht werden.
Welcher Epoche der Ravensburger Geschichte die Organisation einer Schützengesellschaft angehörte, läßt sich nicht mehr mit Bestimmtheit sagen, weil die historischen Quellen darüber schweigen. Da der innere Aufbau des Ravensburger Stadtwesens hauptsächlich im 13. und 14. Jahrhundert zur Durchführung und Gliederung kam, kann man annehmen, daß die Schützengesellschaft vor 1400 in einer vom Stadtregiment gebilligten Form in Erscheinung trat. Quellenmäßige Beweise dafür liegen, wie gesagt, nicht vor. Anderseits wird man die Bildung einer Bürgervereinigung zum Zweck der Ertüchtigung im Schießen kaum früher ansetzen können als die Bekanntschaft mit dem Schieß-pulver als Treibstoff. Selbstverständlich war die Ausbildung mit neuen Waffen eine wichtige Ergänzung der städtischen Wehrkraft, zu der jeder Bürger seinen Beitrag leisten mußte. An eine Ausstattung aller Wehrpflichtigen mit Feuerwaffen war anfänglich sowieso nicht zu denken, solange die Produktion in den Anfängen steckte Die Büchsenschützen waren daher noch jahrhundertelang eine Art Sondertruppe für den Ernstfall. Die Gesellschaft hatte auch eine sportliche Note, die auf Wettbewerbe mit Bogen und Armbrust früherer Epochen zurückgehen wird, denn der gute Schütze erregte zu allen Zeiten Aufsehen und Bewunderung. Verglichen mit den einfachen Eibenbogen des Frühmittelalters war der zusammengesetzte Bogen der Ungarn und anderer Reitervölker aus dem Osten eine gewaltige Errungenschaft. Aber auch er wurde an Reichweite und Durchschlagskraft von dem Mechanismus der Armbrust noch übertroffen.
Letztere geht sicher auf spätantike Vorbilder zurück. Etwa am Ende des 9. Jahrhunderts tauchte sie im Abendland auf und verbreitete sich rasch. Zur ritterlichen Wehr gehörte sie noch im Hochmittelalter meist nicht, da sie den Feind aus der Ferne bekämpfte und damit dem Ehrbegriff des Adels nicht entsprach, der allein den Kampf Mann gegen Mann gelten ließ.
Dagegen wurde in den Städten die Armbrust einwichtiges Mittei der Verteidigung in den Händen der Bürger. Weil ihre Anfertigung handwerkliches Können voraussetzte, wurde sie zur Waffe der Zünfte, während das Meliorat und Patriziat sie noch lange ablehnte, um es dem Landadel gleichzutun. Dies schloß nicht aus, daß der Rat das Armbrustschießen bewußt förderte und zu diesem Zweck eine eigene Schützengeselischaft ins Leben rief.
Einen gewaltigen Auftrieb im Schießwesen brachten die Feuerwaffen. Die Grundlage ihrer Entwicklung geht wohl auf die Chinesen zurück, die das Schießpulver entdeckten, aber nur zu Signalen und Feuerwerk benützten. Wahrscheinlich dauerte es Jahrhunderte, bis seine Herstellung und Zusammensetzung in Europa bekannt wurde. Seine Verwendung als Treibmittel für Geschosse dürfte um 1330 in Mitteleuropa entdeckt worden sein. Auch der Bau der ältesten Kanonen verlangte schon handwerkliches Geschick; sie bestanden anfänglich aus gebohrtem Hartholz mit umgelegten Bandeisen oder aus zusammengeschweißten Eisenstäben. Die nur langsam voranschreitende technische Verbesserung konnte nur in den Städten erfolgen. Infolge ihrer Form nannte man die neuen Mordinstrumente ,Büchsen', worunter man zunächst Kanonen und die später entwickelten Handfeuerwaffen gleichermaßen verstand. Im 14. Jahrhundert waren die Kanonen noch so unbeweglich und schwerfällig-unvollkommen, daß ihre Bedienung recht gefährlich war und auf verhältnismäßig wenige Experten beschränkt blieb. Da Zimmerleute und Schmiede die Hauptbeteiligten an der Herstellung der Geschütze waren, gingen aus ihren Reihen die ersten Büchsenmeister hervor; sie waren gesuchte Persönlichkeiten.
Im großen Städtekrieg schossen die Reichsstädte mit Kanonen, wenn auch nur zur eigenen Verteidigung oder bei der Belagerung feindlicher Burgen. Die Ravensburger stellten 1377 den Büchsenmeister Hermann in ihre Dienste und nahmen ihn als Bürger auf. Er hatte sich lediglich zur Teilnahme an allen Kriegszügen der Bürger zu verpflichten und wurde von allen sonstigen Lasten befreit, ja, die Stadt versprach sogar, ihn bei passender Gelegenheit besonders zu ehren, das hieß, ihm ein weiteres klingendes Entgelt zu reichen. Um Handfeuerwaffen wird es sich damals noch nicht gehandelt haben.
Da, wie gesagt, die Verwendung dieser primitiven Fernwaffen bei Kriegszügen, Schießübungen und sportlichen
Veranstaltungen infolge der konstruktiven Mängel große Gefahren bei ihrer Bedienung mit sich brachte, wollten die
Büchsenmeister und Schützen des göttlichen Schutzes sicher sein. Sie stifteten daher Altäre oder Jahrtage und traten als Laienbrüder den Ordensniederlassungen in den Städten bei. Man hat daher zeitweilig die Meinung vertreten, die Gesellschaften seien aus solchen religiösen Vereinigungen hervorgegangen. Diese Ansicht hat zweifellos einiges für sich, da die Schützen in den Urkunden zuerst vielfach als kirchliche Bruderschaften in Erscheinung traten. Doch in Ravensburg ist dies nicht der Fall, denn die Aufnahme der Büchsenschützen als Laienbruderschaft in den Karmeliterorden erfolgte erst 1477.
Tatsächlich kann man aber die Schützen als Korporation in den Stadtrechnungen weiter zurück verfolgen. Ursprünglich waren Armbrust- und Büchsenträger in der gleichen Organisation vereinigt. Dann erfährt man aus den Rechnungen, daß im Lauf des Herbstes 1468 eine Tren-nung vorgenommen wurde. Die Rechnung für die Wintermonate 1468/69 ist zwar nicht erhalten, aber die Schlußschießen im Herbst wurden be-sonders festlich begangen. Es kommt somit als Zeitpunkt der Bildung zweier Gesellschaften das Jahresende 1468 vor allem in Betracht. Seit dieser Zeit blieben die Armbrust- und Büchsenschützen getrennt und bildeten zwei Gesellschaften. Ihr gemeinsamer Ursprung lag damals vielleicht schon ein Jahrhundert zurück. Die langsamen Fortschritte in der Konstruktion der Feuerwaffen ma-chen verständlich, daß die Zahl der Büchsenmeister zunächst be-schränkt blieb. 1429 genügten Meister Hans von Bern und sein Sohn Peter noch für den ganzen Seestädtebund, und 1441 bestellte Ravens-burg den Meister Hans von Ingolstadt auch im Namen seiner Verbündeten zu dieser Aufgabe. Bald darauf glaubte aber die Stadt doch einen eigenen Büchsenmacher nötig zu haben und berief Klaus Zender von Zürich auf 10 Jahre. Seit 1449 hatte Ravensburg wohl ständig einen geeigneten Mann im Dienst. über den taktischen Einsatz der Armbrust- und Büchsenschützen auf Kriegszügen und zur Stadtverteidigung ist kaum etwas bekannt, da der Ernstfall nie eintrat. Einen gewissen Anhalt geben die sog. Stadtänderungen; das sind Listen über die Alarmierung und Aufstellung der ge-samten Bürgerschaft bei Feindgefahr und in Brandfällen. Die erhaltenen beginnen jedoch erst 1521. Aus ihnen geht hervor, daß die Büchsenschützen an den Brennpunkten der Verteidigungslinie, d. h. an den Toren und Mauerdurchlässen postiert wurden. Gleichzeitig begann das Stadtregiment, die gesamten Befestigungen Ravensburgs auf die Wirkung der Feuerwaffen, vor allem der Artillerie, umzustellen. Damals entstanden die halbrunden Grabenstreichen, die größere Stücke der Stadtgräben flankierten, mit ihren breiten, nach innen verengten Kanonenöffnungen, Schlüsselscharten und kleineren Schußlöchern.
Die Notwendigkeit solcher An- und Umbauten ergab sich aus der bedeutsamen Ausweitung im Gebrauch von Kanonen und Handfeuerwaffen gerade in diesem Zeitalter. Die Aufstellung größerer Infanterieheere im Anschluß an die Schweizer Burgunderkriege während der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts förderten die Verwendung und zahlenmäßige Verbreitung der Geschütze und Büchsen in den Landsknechtsfähnlein Maximilians 1. und Karls V.
Die Einstellung eines ständigen Büchsenmeisters seit 1449 durch die Stadt und die verhältnismäßig späte Scheidung von Armbrust- und Büchsenschützen legen die Vermutung nahe, daß man in Oberschwa-ben erst um die Jahrhundertmitte zur Herstellung weniger unbeholfe-ner Handfeuerwaffen gelangte. Von da an nahmen ihre Zahl und ihre Träger aus der Bürgerschaft offenbar ständig zu. Einen Versuch, alle Männer der Stadt zur Anschaffung von Büchsen zu zwingen, machte der Magistrat im 17. und 18. Jahrhundert, hatte aber nur teilweise Erfolg trotz aller Ermahnungen und Strafen. Manche Ravensburger waren an den Umgang mit so gefährlichen Instrumenten nicht gewöhnt, und die ärmeren scheuten die Kosten. So drückten sich nicht wenige von den seit 1658 angesetzten Schießen an sechs Sonntagen, zu dem alle Bürger jährlich verpflichtet wurden. Schwerere Kanonen hat die Stadt kaum je besessen. Man begnügte sich wahrscheinlich mit mittleren Geschoßgewichten und den leichteren Schlangen und Falkonetten, die zur Mehrzahl in den Türmen standen. Ihre Bedienung war zweifellos Sache der Büchsenschützen, obwohl man aus den Quellen nichts darüber erfährt. Die ungefügen und schweren Handfeuerwaffen (Hakenbüchsen) brauchten anfänglich eine Stütze in Form von Gabeln und Haken.
Im Lauf des 16. Jahrhunderts machten sie den leichteren Musketen Platz. Elegantere und in der Zielsicherheit bessereGewehre entstanden in der Barockzeit. Für das Scheibenschießen erschien die sog. Zielbüchse auch in unserer Stadt. Gegenüber den Handfeuerwaffen gerieten die Armbrüste allmählich ganz ins Hintertreffen. Es gibt Anzeichen dafür, daß sie noch um 1470 mehr Liebhaber hatten als die Büchsen, aber dies änderte sich bald darauf, da die Armbrust noch für die Jagd Verwendung fand, aber nicht mehr den Ausschlag im Krieg geben konnte. Die Folge war, daß sich die RavensburgerGesellschaft der Armbrustschützen mitten im Dreißigjährigen Krieg auflöste und nie wieder ins Dasein gerufen wurde.
Ein unmittelbarer Zusammenhang mit dem heutigen Adlerschießen am Rutenfest besteht nicht. Die Gesellschaft nahm zwar im Gegensatz zu den Büchsenschützen Minderjährige, die dem Knabenalter noch nicht entwachsen waren, als eine Art von Lehrlingen schon im 15. Jahrhun-dert auf. Diese ,Knaben' durften die eigentlichen Stachelbogen, d. h. die Waffen mit Stahlbogen zur Sehnenspannung, nicht benützen, son-dern schossen mit der ,Eibe'. Darunter kann man Bögen aus Eibenholz oder eine Art Kinderarmbrust mit Eiben anstatt des Stahleinsatzes verstehen. Immerhin gehörte im Ausgang des Mittelalters das Schießen der Knaben mit der Eibe zu den sportlichen Wettbewerben der Gesellschaft. Feuerwaffen wollte man offenbar Kindern nicht in die Hand geben. Die Männerarmbrust konnte übrigens nicht mit der Hand gespannt werden; man bediente sich dazu eines Hebelzugs mittels des sog. Geißfußes oder einer Winde.
Es war mehr oder weniger ein romantischer Zufall, daß die Dramatische Gesellschaft der Stadt 1823 ein Lustspiel ,Das Vogelschießen' aufführte, bei dem vielleicht Schüler als Armbrustschützen mitwirkten. Jedenfalls brachte diese Aufführung den damaligen Rektor der Lateinschule und ersten evangelischen Helfer, Magister Dehlinger, auf den Gedanken, ausdiesem Schießen einen jährlichen Brauch für seine Schule zu machen. Damit nahm er, wahrscheinlich ohne Kenntnis deshistorischen Sachverhalts, die Tradition der längst vergangenen Armbrustschützengesellschaft wieder auf und wurde zum Vater des Adlerschießens der Oberschulen beim Rutenfest. Wie bei allen Gesellschaften in der Stadt, standen an der Spitze der beiden Schützenvereinigungen je ein Christafel und Achterausschüsse, die 1490 und 1492 erwähnt werden.
Bemerkenswert ist, daß in jenen Jahren noch keine Patrizier an ihnen beteiligt waren. Diese übertrafen damals den
Landadel in der Ablehnung der Fernwaffen, denn letzterer hielt 1489 in Ravensburg ein Schießen ab. Aus diesem Anlaß verehrte der Rat den Herren einen Geldbetrag und Wein. In den folgenden Jahrzehnten bekamen auch die Gesellen im Esel Geschmack am Schießen und bemächtigten sich der Gesellschaftsspitze, zum minde-sten bei den Büchsenschützen. Inden Spätzeiten der Reichsstadt kam es nicht selten vor, daß die nun häufiger genannten Ober- und UnterschützenmeisterPatrizier und Bürgermeister waren. 1655 standen der Gesellschaft zwei Schützenmeister und zwei Zugeordnete vor, die jährlich neu gewählt wurden. Vor der Einführung der Reformation gingen die Gesellschaft und die Bruderschaft der Büchsenschützen offenbar getrennte Wege. Vielleicht hatten sie auch geteilte Vermögensverwal-tungen, doch gewinnt man darüber keine volle Sicherheit. An der Spitze der Bruderschaft stand 1519 Stadtamtmann Heinrich Besserer als ihr Pfleger; im Jahr darauf stifteten Mitglieder in der Karmeliterkirche einen Altar samt täglicher Messeverpflichtung. Die Leitung lag nun in den Händen des Bürgermeisters Paul v. Moshain. - Die Altarstiftung blieb bis zur Säkularisierung des Klosters in Kraft. Infolge des Glaubenswechsels vieler ihrer Mitglieder verlor die Bruderschaft an Be-deutung. Die Schießübungen mit Armbrust und Büchse fanden - wohl schon lange vor der Trennung der beiden Gesellschaften - im Stadtgraben statt, und zwar an dem Steilhang zwischen Mehlsack und Kästlinstor, wo sich ein günstiger Pfeil- und Kugelfang bot.
Die konstruktive Verbesserung der Handfeuerwaffen nötigte jedoch die Büchsenschützen zu einem Platzwechsel, der ihnen größere Schußweiten erlaubte; man brauchte also ein weniger eingeengtes Gelände. Spätestens seit dem Sommer 1488 hielten daher die Büchsenschützen ihre Übungen und Wettbewerbe auf der Kuppelen (Kuppelnau) im Norden der Stadt ab. Der Magistrat überließ ihnen dort ein neuerbautes Sommerhaus als Schießhütte gegen einen Jahreszins von 15 Pfennig. Auf der ebenen Fläche davor erhoben sich die Mauerstücke zum Aufhängen der Scheiben und die Zeigerhäuschen, die auf den Stadtpro-spekten der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts gut zu erkennen sind.
In Anschluß an diesen neuen Platz entstand wohl schon vor 1660 ein Schützenhaus mit Wirtschaft, an dessen Stelle erst 1777 die heutige Kuppelnaugaststätte trat. Auf diesem Platz traf sich an den Schießtagen, die meist auf den Sonntag fielen, die gesamte Bürgerschaft, arm und reich, groß und klein, und vergnügte sich nach bestem Können. Daß es dabei auch Streitereien und blutige Köpfe gab, soll nicht verschwiegen werden. Anderwärts haben sich die Maler des lohnenden Gegenstands bemächtigt, vor allem in den Niederlanden, wo sie das fröhliche, bunte Treiben in bewegten Bildern festhielten. Damit kön-nen wir hier allerdings nicht aufwarten. Ergänzend sei bemerkt, daß die Armbrustgesellschaft ihre Anlage am Mehlsackhang beibehielt.
In den Quellen werden daher Mitglieder vor dem Dreißigjährigen Krieg nicht selten Grabenschützen genannt. Auch ihre Schießbahn fehlt nicht in den Stadtprospekten. In der Praxis war freilich nur bei den Knaben mit der Eibe eine gewisse Ähnlichkeit mit dem heutigen Adlerschießen vorhanden; die Stahlbogen besaßen eine viel größere Durchschlagskraft und Reichweite als unsere Schülerarmbrust. Die Schwere der Waffen und der starke Rückschlag beim Abfeuern oder Abschießen verhinderten lange den Schuß aus dem Stand. Um genau zielen zu können, bedienten sich die Schützen des ausgehenden Mittelalters eines festen Sitzes oder stützten wenigstens den linken Arm auf eine Unterlage. Erst die leichteren Musketen ermöglichten den
Schuß mit freischwebendem Arm. Leider ist aus der Zeit vor dem Westfälischen Frieden (1648) keine Ravensburger
Schützenordnung erhalten geblieben. Die älteste noch vorhandene von 1655 gibt immerhin einige Anhaltspunkte für den Ablauf der Schießen zu Beginn der Neuzeit.
Danach fanden sie, soweit es die Witterung erlaubte, an allen Sonn-tagen statt und wurden Schlag 2 Uhr nachmittags eröffnet. Bis dahin mußte der ,Doppel', d. i. der Einsatz in die Schützenkasse, von jedem Teilnehmer erlegt sein. Bis 3 Uhr blieb dann allen Zeit, zwei Probeschüsse abzugeben. Schlag 3 Uhr hängte man die Stechscheiben an die Zielmauern. Die Büchsen durften nicht in der Hand der Eigentümer bleiben, sondern wurden in Gewahrsam genommen und, wie eine Konstanzer Glasmalerei zeigt, auf Tischen nebeneinander ausgelegt, wo sie außer dem Besitzer niemand berühren durfte.
Es sollte auch nicht aus entlehnten Rohren geschossen werden, doch wurden bei fremden Gästen Ausnahmen
zugelassen. Pulver und anderes Zubehör mußte jeder Schütze in eigener Aufsicht behalten. Beim Stechen um das Beste oder den Bestgewinn stand allen Beteiligten nur eine Kugel zu. Am Schießstand sollte sich außer den Schützenmeistern und dem Schreiber niemand aufhalten. Wer diesen Vorschriften nicht nachkam, konnte für ein Jahr von allen Preisschießen ausgeschlossen werden und mußte u. U. eine Geldstrafe hinnehmen.
Als Einsatz bestimmte der Rat der Stadt 1655 für jeden Mann 6 Kreuzer. Außerdem warf er zu allen Schießen die sog. Herrengabe aus. Sie bestand 1463 aus Hosen für Männer und Knaben, zu deren Ankauf die ersteren 6 fI. und die letzteren 1 fl. bekamen. Nach der Trennung in Armbrust- und Büchsengesellen setzte der Rat denen mit der Büchse im Herbst 1469 4 Pfg. 10 Schilling (etwa 5 fl.) zu Barchenttuch aus. Die Armbrustleute blieben 1471 beim 6 fl.-Satz für Hosen.
Noch ein halbes Jahrhundert später galten in Konstanz fast die gleichen Preisarten, und 1606 vergabte der Ravensburger Rat zu diesem Zweck Tuch zu 20 Paar Hosen. 1615 stieg diese Zahl für beide Gesellschaften auf 60; 1628 erhielten die Grabenschützen nur noch acht Hosen. Dann änderte sich der Herrenpreis 1641 auf 4 Reichstaler Bestgewinn bei den Büchsenschützen; die Armbrustgesellschaft wird nicht mehr erwähnt. Für die wöchentlichen Schießen warf der Magistrat 1658 je 18 Batzen aus 1669 1 Reichstaler, ab 1689 aber nur noch 1 fl. Zum Abschlußschießen im Herbst, das mit größerem Gepränge gefeiert wurde, gewährte er seit 1685 3 Reichstaler. Dann bürgerte sich ein zweites Schützenfest am Schwörtag ein, der am Pfingstmontag abgehalten wurde. Der Herrenpreis betrug bei dieser Gelegenheit 3 fl. (1695>, die aber bald auf 2 fl. ermäßigt wurden. Schließlich kam beim Eröffnungsschießen im April 1 Klafter Tannenholz hinzu. 1697 bewilligte die Stadt außerhalb der Reihe anläßlich des Türkensiegs des Prinzen Eugen bei Zenta 24 fl. und 1704 nach dem großen Sieg bei Höchstädt, den Kaiserliche und Engländer über Franzosen und Bayern erfochten, sogar 50 fI. Ab 1706 gab es als Herrenpreis 15 fI. zum Ankauf eines Ochsen oder Stiers, der beim Abschlußschießen verspeist wurde; ab 1724 kam noch eine Schützenfahne hinzu. Aus der Gabe der Schwörtage wurde in der Folgezeit ein Schwördukaten. Den wöchentlichen Gulden behielt man bei, ebenso den Klafter Holz im Frühjahr. Daneben gab es noch an-dere Gelegenheiten, um der Schießlust zu frönen, so vor allem an den Hochzeiten der wohlhabenden Bürger und der Patrizier. Eine besondere Stellung nahmen die Freischießen ein, bei denen sich fremde Schützen aus allen Himmelsrichtungen mit den Einheimischen messen konnten.
Wie in anderen Reichs- und Landstädten war man auch in Ravensburg bemüht dabei einen gewissen Prunk zu entfalten, der dem Gemeinwesen zur Ehre gereichen sollte. Auf diese Art wurden die Freischießen zu einer Art Volksfest, bei dem sich die ganze Landschaft mit be-lustigte. Die Bestgewinner des Schießens errangen nicht geringen Ruhm und ähnelten darin unseren modernen Sportkoryphäen. Da bei solcher Gelegenheit die Herrenpreise und oft auch die privaten Sondergaben zu stattlicher Höhe anstiegen, wurden die besten Schützen aus weitem Umkreis angelockt. Zudem kam es nicht selten vor, daß die heimatliche Obrigkeit dem Schützenkönig nachträglich ein besonderes Geschenk machte. 1514 ließ so der Ravensburger Rat dem Büchsenmeister Hans Kegel, der ein großes Schießen in Heidelberg gewonnen hatte, die damals beträchtliche Gabe von 10 fl. reichen. Wie bei allen bedeutenderen Wettbewerben im Schießen konnten auch in Ravensburg einheimische und Gäste die ausgesetzten Preise vor dem Beginn bewundern und begutachten.
Um möglichst viele fremde Bewerber anzuziehen, versandten die Schießgesellschaften gedruckte Einladungen mit den Teilnahmebedin-gungen. Ein Ulmer Formular dieser Art wurde bereits 1478 hinausgeschickt. Im Ravensburger Stadtarchiv hat sich ein Ladeschreiben der Straßburger Schützen erhalten, das nach Form und Inhalt beachtenswert ist. Die untere Hälfte des Folioblattes enthält einen Kreis von 13,8 cm Durchmesser zur Angabe der Größe des Zentrums der Ziel-scheibe. Darüber liegt quer ein Spruchband mit der Aufschrift: Länge des Werkschuhs (18,5 cm), aus dem man die Schußdistanzen errechnen konnte. Bei dem Armbrustwettbewerb betrug der Abstand vom Ziel
300 Werkschuhe (85,5 m), bei dem mit der Büchse 670 (191 m). Die Entfernungen waren also beachtlich, vor allem in Anbetracht der Schwere der damaligen Waffen und der Bedingung mit frei schwebendem Arm zu schießen.
Die Scheiben besaßen normalerweise die gewohnte Kreisform mit dunklem Zentrum. Daneben tauchten aber solche mit mehreren Zentren in symmetrischer Anordnung auf. Zudem begnügte man sich nicht mit einer, sondern hatte eine ganze Reihe verschiedener Scheiben mit unterschiedlichen Einsätzen und Sonderbemalungen. So veranstaltete man im 16. Jahrhundert in Konstanz Stechschießen auf die Gans und die Jungfrau. Die Barockzeit liebte farbenfrohe Scheiben mit allegorischen und bildlichen Darstellungen aller Art. Die Ravensburger Schützengilde nennt heute noch eine stattliche Zahl solcher Gebilde ihr eigen.
Sie beginnen, da eine oder mehrere ältere Exemplare verlorengingen, mit einer Scheibe von 1714 zur Erinnerung an den Frieden zu Rastatt! Baden. Andere mit Bildern der Stadt und einzelner Gebäude mit figürlichen Darstellungen und Sinnsprüchen aller Art folgten bis in unsere Zeit. Einige von ihnen sind künstlerisch nicht unbedeutend und für die Stadtgeschichte wertvoll. Die Anfertigung der einfachen Zielscheiben besorgte die Bauhütte der Stadt.
Der militärische Wert der Büchsenschützen blieb bis zur Mediatisierung fraglich und wurde glücklicherweise nie auf die Probe gestellt. Die Ge-sellschaft überlebte vielleicht gerade aus diesem Grund das Ende der Reichsstadt. Zur Aufstellung der Jägerkompanie der Bürgerwehren unter Bayern und Württemberg trug sie vermutlich ihren Teil bei, verlor aber in der Folgezeit ihre militärische Bedeutung und erhielt ihr heutiges Gepräge. Die alte Schießstätte auf der Kuppelnau mußte 1877 aufgegeben werden, weil die Häuser der Stadt dem Platz zu nahe gerückt waren. Eine neue Anlage auf der Veitsburghöhe erwies sich rasch als unzweckmäßig. Nach langem Suchen fand man endlich 1888 eine geeignete Schießbahn im schönen Waldtobel der Höll. Dort erbaute die Schützengilde 1910 ein für die damaligen Verhältnisse vorbildliches Heim.
Ab 1888 wurde in der Höll geschossen. Landwirt Binger überliess der Schützengilde das erforderliche Gelände mit einem dinglichen Recht zur Ausübung des Schiessens. Vertragsabschluss war der 07. 07. 1898, Eintragung in das Grundbuch am 29. 08. 1901. Dieses eingetragene, unverfallbare Recht besteht bis heute. 1910 erbaute die Schützengilde dort ein für die damaligen Verhältnisse vorbildliches Heim.
1943 riss ein Bautrupp des Rüstungskommandos Ulm die Schiessanlage ein, um Hallen für die Rüstungsindustrie auf diesem Gelände zu bauen.
1948 kaufte die Stadt diese Hallen von der französischen Besatzungsmacht. 1952, nachdem der Schiessport wieder erlaubt war, stellte sie der Schützengilde eine Lagerbaracke mit einem 50m Schiessgelände zur Verfügung. Bedingung war, daß die Schützengilde 10 Jahre auf die Nutzung des eigenen Schiess-geländes verzichten solle. Daraus wurden jedoch über 30 Jahre! Nachdem ab 1984 sichtbar wurde, daß die Schießstände von Grund auf renoviert werden müssen, nahm der Vorstand der Schützengilde Kontakt mit der Stadtkämmerei auf, wegen neuen Vereinbarungen.
Nach mehreren Gesprächen wurde der Schützengilde gesagt, daß das Schiessgelände wieder auf das ursprüngliche Grundstück zurückverlegt werden solle. Sicherheits- und Lärmschutz sind dort besser einzuhalten. Das provisorische Schiessgelände solle auch dem Naherholungsgebiet der Stadt Ravensburg dienen.
Nachdem das 1986 eingereichte Baugesuch positiv entschieden wurde, entstand auf eigenem Gelände die neue großzügige Schießanlage.
Heute gibt es außer den verschiedenen Schießanlagen einen großen Aufenthaltsraum, der sich auch für Veranstaltungen und Mitgliederversammlungen eignet und sich komplett bewirten läßt.